Drei Sterne ist nicht gleich Drei Sterne. Denn erstens würdigt der Guide Michelin mit dieser höchsten Auszeichnung Meisterschaft verbunden mit individueller Kochhandschrift. Und zweitens gibt es höchst unterschiedliche gastronomische Philosophien und Konzepte auf dem Weg zum Gipfel. Es wundert nicht, dass die Schwarzwaldstube des Hotels Traube, die seit 1992 drei Sterne erringt und damit eine Legende deutscher Spitzenküche ist, nicht auf jeden Trend aufspringen muss. Hier folgt man nicht dem modischen Häppchenprinzip, das gerne einmal an die 20 Kostpröbchen umfassen kann.

Unter der Regie von Torsten Michel hält das Haus an einer Kulturleistung des Abendlandes fest, dem sinnvoll und nach Regeln aufgebauten Menu. Drei gibts zur Auswahl, ein fünf-, ein siebengängiges sowie ein bemerkenswertes vegetarisches. Außerdem wie in den Sternetempeln Burgunds á la carte-Optionen, die die Wahl schwierig machen.

Wir bewundern den Mut, eine Schlachtplatte von barocker Radikalität anzubieten: Das Kotelett vom heimischen Freilandschwein mit Eisbein, Bäckchen, knusprigen Ohren, Maske und Zunge speist sich aus Kochwissen, das weit älter als der modische Londoner Slogan from nose to tail ist. Wir verzichten schweren Herzens auf Verlockungen wie japanisches Rinderfilet mit knuspriger krauser Glucke und gereiftem Reisessig und verkneifen uns das Mosaik von Knollensellerie, Topaz-Apfel und Comice-Birne mit Bergamotte, Nussölmarinade unfd Birnenbalsamico. Nur bei der geheimnisvollen Essenz vom Überläufer werden wir schwach und bitten, sie in die Speisefolge des Degustationsmenus einzubauen. Doch davon später.

Ein höchst gelungenes Aromenspiel ist das Trio als Gruß aus der Küche. Auf silbernen Probierlöffeln ist vom Tatar bis zum Forellenkaviar ein fließender Übergang von Fleisch zu Fisch als funkelndes Aromenspiel inszeniert. Imponiert hat mir als Magenöffner auch der durchdeklinierte Kürbis vom Püree bis zum Chip, apart in Camparisud angerichtet.

Fisch: Lachs wird in Süßholz gegart und neben Pinienkern-Couscous gebettet. Ein gelungener kulinarischer Bravourakt ist die dazu gereichte cremige mit Dattelessig abgeschmeckte Mousseline aus Lamm- und Fischbauch! Als puristische meeresfrische Jodbombe entpuppt sich der Eismeerkabeljau, der in Algenbutter gegart hellgrün schillert und von pochierten Austern und mit Champagner abgeschmeckter Seeigelnage umschmeichelt wird.

Hell, licht, zart auch das Kalbries: In Süßwein glasiert, wird die Edelinnerei subtil mit feingeschnippelter Brunoise von Birne und Haselnuss kontrastiert.

Die geheimnisvolle Essenz vom Überläufer, die in Suppentasse mit Blätterteighaube serviert wird, kann es locker mit ihrem Vorbild, der getrüffelten Soupe VGE aufnehmen, die Bocuse einst dem französischen Staatspräsidfenten Valéry Giscard d’Estaing aufgetischt hatte. Unter der buttrigen Haube bricht der Duft würzig konzentrierter klarer Frischlingsbrühe hervor, in der Parisiennekügelchen von Gemüse, Geflügelleberstreifen und winzige knackige Buchenpilze schwimmen. Ein vollendet nostalgischer Genuss!

Den nächsten Klassiker kriegt man kaum noch in Frankreich, geschweige denn in deutschen Landen. Der burgendländische Feldhase ist nach aufwendiger königlicher Art, sprich à la royale mariniert und butterweich geschmort – und schmeckt zart nach Speck, Orangen, Wacholder und ja, Haut-Gout! Ein köstliches Probestück Kochgeschichte, das Bereitschaft erfordert, von eingefleischten Zubereitungsvorstellungen abzuweichen. Wer sagt denn, dass Wild jetzt immer und immer innen rosa angebraten sein muss – wer diese moderne Variante vorzieht, kann auf die perfekten Rehmedaillons mit Wildjus, der mit Arabica und omanischer schwarzer Zitrone aromatisiert ist, zurückgreifen. Überhaupt sind nach allen Regeln der Kunst gezogene Saucen, die erfreulicherweise in großzügigen Saucieren angereicht werden, eine der unwiderstehlichen Verlockungen des Hauses.

Beim frankophilen Käse-Trolley und bei Edeldesserts wie der schaumigen Haube des Passionsfruchtsoufflés zeigt sich wieder die innige Verbundenheit mit dem nahen französischen Nachbarn.

Fazit: Die Schwarzwaldstube integriert Lokales wie Sanddorn, setzt spielerisch japanische und orientalische Aromen ein, aber der Benchmark bleibt haute cuisine im französischen Stil. Lange hatte das deutsche Kochwunder der Generation Witzigmann einen Hauch von Epigonentum. Nicht länger so bei Torsten Michel. Der gebürtige Dresdner beherrscht und praktiziert die Klassiker genauso souverän wie Spitzenköche der Grande Nation und entwickelt sie höchst individuell weiter. Hier ist jeder Gang schon sprachlich aber auch auf dem Teller eine durchdachte ästhetische Komposition.

Die mit klaren Schwerpunkten Deutschland und Frankreich bestückte Riesenweinkarte fügt sich in das Billd eines einzigartigen Restaurants ein, wo man in moderner Architektur mit gedämpfter Lichführung die rare Bandbreite ganz großer Kochkunst mit zeitgemäßer Handschrift erleben kann. Ein kulinarischer Solitär von europäischerm Rang.

SCHWARZWALDSTUBE
Tonbachstr. 237
72270 Baiersbronn
07442 492665
www.traube-tonbach.de