Süditalien unterscheidet sich von Norditalien auch dadurch, dass man ein Mahl gern mit einem Amaro, sprich bitterem Digestivo abschließt, während man im subalpinen Norden gerne zu hochprozentigem Grappa greift.
Bisher dachte ich immer, die berühmtesten Amari wie Amaro Averna aus Caltanissetta, der kalabresische Amaro del Capo oder Amaro Lucano aus Pisticci in der Basilikata bezögen Ihre Bitterstoffe hauptsächlich aus den Schalen grüner Waslnüsse, seien also eine Verfeinerung traditioneller Nocino-Walnussliköre. Das stimmt auch im wesentlichen, nur gibt es eben auch andere Möglichkeiten, das Bitteraroma in den Verdauungsschnaps zu zaubern.
Eine der apartesten wird zur Zeit auf Sizilien (wieder)entdeckt. Die Schale insularer Pomeranzen oder Bitterorangen ergibt einen edlen Agrumenton, der feiner als die Bitterattacke der Walnüsse mundet. Besonders hat es mich als Ess-Historiker gefreut, dass eine Familiendistillerie in Palermo damit an das pomologische Erbe der Haupstadt Siziliens anknüpft. Es war auch der durch Bergkämme von Winden geschützte wasserreiche Talkessel der Conca d’Oro, der Goldenen Muschel, der 831 die arabischen Eroberer der Insel bewog, die Hauptstadt von Syrakus nach Palermo zu verlegen. Denn hier konnten kundige Fellachen dufternde Orangenhaine für die islamischen Lustgärten der Emire anlegen – die ersten Apfelsinen Europas!
Der narkotische Geruch der zagare, der Orangenblüten, den noch Maupassant oder Ernst Jünger enthusiastisch beschrieben, ist weitgehend verschwunden. Heute ist von der ursprünglichen Bepflanzung der Conca d’Oro nicht mehr viel geblieben. Bauspekulation, massiver Zuzug nach dem 2. Weltkrieg und unachtsame Stadtpolitik hat das einstige riesige Orangenareal zerstückelt. Böse Zungen sprechen von der Conca di cemento.
Doch nicht überall. Entlang des sich windenden Oberlaufs des Oreto-Flusses haben sich im unwegsamen Gelände kleinere Parzellen von alten Agrumerngärten erhalten.
Einer dieser überlebenden agrumeti, die Tenuta Lo Jacono, die die Feldarbeiter früher Jacli abkürzten, liefert den Rohstoff für ein winziges familiäres Liquorificio. Dall’albero alla bottiglia – vom Baum in die Flasche: unter diesem Motto hat sich Familie Mazzara 2019 entschlossen, den Mythos der Zitrusfrüchte der Conca d’Oro wieder auf den Papillen erlebbar zu machen. Longue durée: historisches Bewußtsein spiegelt sich in den Namen der sanften Alkoholika wieder. Der Süßorangenlikör trägt den arabischen Namen der Früchte Burtuqa, der dichte Limoncello heißt Zagara nach dem ebenfalls arabisch-süditalienischen Wort für die weißen Blüten der typischen Femminello-Zitrone. Mir schmeckt besonders der bernsteinfarbene Amaro Cartasio, der elegant die Essenzen von Bitterorangeschalen mit den Bitterstoffen grüner Walnüsse vermählt. Ein Jahrtausend sizilianischer Geschichte im Schwenkglas!
LIQUORIFICIO JACLI
Via Vincenzo Alagna 6/A
I-90126 Palermo
www.jacli.it
(Besuch nach Voranmeldung, Produkte in feineren Bars und Restaurants Palermos)