Mein kulinarischer Lieblingsplatz in der Kapitale Catalunyas liegt direkt gegenüber dem Hauptportal der gotischen Kirche Santa Maria del Mar, der ich wegen ihres bezaubernden, von einem Baldachin schlanker himmelwärts strebender Säulen beschirmten Altarraums immer gerne einen Besuch abstatte. Wenn ich Glück habe, ergattere ich anschließend den winzigen Tisch im 1. Stock, den man nur über eine enge Wendeltreppe erreicht und der einen privilegierten Blick auf das Gotteshaus und das touristische Treiben rund um diesen heiligen Hotspot gewährt.
Als privilegiert empfinde nicht nur ich auch die Weinauswahl in dieser Weltklasse-Enoteca. Während einheimische Connaisseure am Tresen einen Bernkasteler Doctor von der Mosel oder ausgesuchte Winzerchampagner nippen können, halte ich als Tourist mich natürlich lieber an katalanische Cavas, Lagen-Riojas oder reinsortige Garnatxas aus dem Empordà-Gebiet im Hinterland der Costa Brava. Und bewundere die önologische Spannbreite dieser zwanglosen Edelweinbar: hier bekommt der Gast exzellenten roten Toro oder weissen Albariño für unter 3 € das Gläschen oder kann für 30 Jahre gereifte Prestige-Crus aus dem Penedès oder dem Priorat das Zehnfache anlegen. Ganz zu schweigen von den Schätzen der fingerdicken, in schwarzes Leder gebundenen Flaschenweinkarte, die eine ausgedehnte ampelographische Spanienreise verheißt.
Im „Weinberg des Herrn“ würde ich allerdings auch einkehren, wenn es nur Wasser gäbe. Selten habe ich selbst in der Tapas- und Pintxos-Nation Spanien so eine feine und zugleich regionale Auswahl an begleitenden Häppchen erlebt. Ich gebe zu, dass ich micuit d’anec, Entenleber mit grobem Meersalz genauso wenig widerstehen kann wie dem Huhn mit Backflaumen oder der hellen butifarra, einer Graupen-Blutwurst, die apart mit karamellisierten Zwiebelchen gereicht wird. Iberische Küche braucht keine aufgesetzte from-nose-to-tail-Ideologie. Hier kontrastiert man peus de porc, ausgelöste schmelzende Schweinepfötchen, die in grobkörnigem Senf mariniert sind, einfach mit bunter katalanischer escalivada aus gegrilltem Gemüse oder winzigen Kartöffelchen mit Pimentpulver und geräuchertem Olivenöl. Das nächste Mal warten die fischigen Versuchungen: Thun mit Mandeln oder kantabrische Sardellenfilets. Und eine Herkulesaufgabe: sich an die ca. 80 glasweise zu verkostenden Sherries, Malagas und Madeiras zu machen.
LA VINYA DEL SENYOR
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