Der Zerrissene, so lautet der Titel einer Posse des Wiener Volkstheaters von Johann Nestroy. Und genauso ambivalent kamen wir uns beim Besuch des Waltz vor.

Erster Akt. Ein wunderschön gelungener Gastraum, der wie ein österreichisches Nobelbeisl wirkt. Modern gemütliche Holzvertäfelung im Stil der minimalistischen Vorarlberger Innenarchitektur, zurückhaltende Lamperie, geschmackvolle Bestuhlung, ein Porträt des zweifachen Oscarpreisträgers Christoph Waltz – perfekt! Aber zu laute Musik, die auch auf mehrmaliges Nachfragen nicht wirklich heruntergedreht wurde.

Zweiter Akt. Ein tadelloser Gedeckkorb, bestückt mit Salzstange und Sauerteigbrot aus der 2019 eröffneten Manufaktur Julius Brantner, ohne die in der angesagten Gastronomie Münchens nichts geht. Dazu Kürbiskern- und Liptaueraufstrich, doch halt, bevor man dazukam, sich diesem Auftakt zum edlen Winzersekt zu widmen, schwebte schon die Vorspeise herein und machte den Brotkorb eigentlich sinnlos.

Dritter Akt. Ein ästhetisch und geschmacklich köstliches Dripping. Hauchdünne Scheiben von Kalbszunge umschmeichelt von einer milchweißen lauwarmen Krenmousse, bunt besprenkelt durch winzige Würfelchen einer Gemüsejulienne. Ganz großes Teller-Kino! Kontrast: Der Grazer Kopfsalat war nicht, wie suggeriert, die seltene regionale Sorte Krauthäuptel, sondern ein ganz banaler Salat, bei dem sich die Küche auch nicht die Mühe gemacht hat, wenigstens zartere Innenblätter auszusuchen. Mit viel Erdäpfeln, sehr harten Speckcroutons, Kürbiskernen und viel Kernöl angerichtet, hätte er passabel zu Schnitzel oder Backhendl gepasst: ein klassischer Beilagensalat, aber keine Vorspeise.

Vierter Akt. Zarte, duftige Fischnockerl, wie man sie auch im Salzkammergut nicht feiner findet. Schroffer Gegensatz: Rätselhaft, wie man Erdäpfel-Bärlauchknödel so zementartig massiv hinbekommt, daß sogar die Füllung untergeht. Und das Spitzkraut sah zwar ordentlich braun durchgeschmort aus, schien aber als einzige Würze auf großzügig darübergehäufte Butterbrösel zu vertrauen. Ein Tipp für die Küche: Einfach mal mit dem Bayernticket ins Salzburger Land fahren und in einem Landgasthof fluffige Grammel- oder Hascheeknödel mit süß eingekochtem böhmischen Kraut probieren. Und dann nachahmen.

Fünfter Akt. Geschmorter Lammbauch, elegant in ovale Scheibenform dressiert. Dazu eine meisterlich konzentrierte Sauce und ein aparter Erbsenstampf. Beste Gasthausküche, die gerade aus nicht supermageren Schnitten mitteleuropäisches Soul Food zaubert. Das stylish servierte steirische Backhendl o.k. – die authentische Haut fehlte zwar, aber immerhin waren die zwei Stückchen nicht entbeint und blieben dadurch geschmacksintensiver, wenn auch das Fleisch und die Panade eine Spur Salz vertragen hätten. So wirkte auch das Risipisi, das ja traditionell weit ungewürzter als sein venezianisches Vorbild risi e bisi serviert wird, eher wie eine Sättigungsbeilage. Und Vogerlsalat, der in Deutschland meist Rapunzel- oder Feldsalat heißt, passt gut zum Backhendl, aber eher weniger zu Risipisi. Es gibt auch etwas zu loben: Ganz wie in einer Grazer oder Stainzer Backhendlstation gibt‘s zu Haxerl, Flügerl oder Brust auch ein Stück panierte Hühnerleber.

Beifall oder Buhrufe? Die Wunschvorstellung, endlich auch in München österreichische Klassiker in Wiener Beislqualität zu bekommen, erfüllt das Waltz nicht. Doch wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, hier kulinarische Österreichsehnsucht stillen zu können, sondern eher eine behutsam kreative, trotzdem modern bürgerliche Küche mit gelegentlichen österreichischen Zitaten wie Kren und Kernöl zu schätzten weiß, dann kann man hier ausgezeichnet speisen. Und wer trotzdem auf etwas k.u.k.-Nostalgie nicht verzichten will, kann sich an der überraschend international bestückten Weinkarte schadlos halten. Hier sind auch ausgefallene Tropfen aus den Kronländern zu finden, die etwa zum Vergleich von slowenischem Furmint aus der Untersteiermark mit ungarischem vom Südufer des Neusiedler Sees einladen.

WALTZ
Ickstattstr. 13
80469 München
Tel. 089 90429847
www.waltz-gasthaus.de