Beliebtes Gedankenspiel in diesen Corona-Tagen: nach welchem Lokal sehnen wir uns am meisten, wo möchten wir als erstes hin, wenn die Restaurants wieder öffnen dürfen?
Klar, ich hätte da einige Kandidaten: die Fisch-Trattoria im Capo-Markt von Palermo fällt dieses Frühjahr ebenso aus wie die wurlige Jugendstilpizzeria Trianon im Forcella-Viertel von Neapel. Außerdem hatte ich einen Tisch in der Stuttgarter Wielandshöhe bei Vincent Klink, der in letzter Minute durch die Gastronomie-Sperre vereitelt wurde – da freu ich mich sehr aufs Nachholen.
Aber am meisten zieht es mich in diesen Tagen, wo gerade das Oktoberfest abgesagt wird, virtuell in die Alpen, ins Kreuther Tal südlich vom Tegernsee. Dort liegt malerisch in einer Hochweide (doch ohne Fernblick!), die Schwarzentennalm, mein Lieblingsplatz für bayerische Schmankerl. Denn anders als in München, wo die spektakulären Locations der Brauhäuser und Biergarten halt doch nur Großküchenkost bieten, gibts hier einheimische langsam auf dem Holzherd gegarte Familienküche. Überhaupt langsam – die Schwarzentennalm ist wirklich slow. Und die Wartezeiten an der Durchreiche im gemütlichen Stüberl legendär, denn diese Alm ist nicht zu einer effektiven Hüttenkantine mit Drehkreuz, riesiger Selfservice-Theke und als Bajuwaren verkleidetem Personal ausgebaut worden. Hier läßt Hüttenwirtsfamilie Stickl sich fast schon halsstarrig bewußt Zeit für Qualität, was manche bissigen Kommentare in den Netzwerken hervorruft, was viele Stammgäste aber gerade wegen der damit verbundenen Gemütlichkeit und dem altmodischen Wertebewußtsein als Momente der Entschleunigung und als Erholung von unserer hektischen Konsumgesellschaft zu schätzen wissen.
Eine Alm ist kein Restaurant, die Speisenauswahl auf der Schiefertafel ist winzig. Ich esse fast immer das gleiche, wenn ich auf einfachem Waldweg 1 Stunde vom Parkplatz Klemm heraufgestiegen bin: Tellerfleisch von superbem Weide-Aroma, das mit bestem österreichischem Tafelspitz mithalten kann, dazu typisch bayerisch ein selbstgemachter glasig glänzender Kartoffelsalat, zu dem mir spontan das schwäbische Kompliment schlorzig einfällt. Speckknödel in der Suppe oder mit Kraut oder wenn ich früh losgegangen bin, Weisswürste vom heimischen Metzger. Und, begehrtes Ziel manches Sonntagswanderers, der ultimative Schweinsbraten mit Semmelknödel, krustig, zart und mit gschmackiger eigener Soße. Kein Wunder, daß diese nur einmal die Woche erhältliche Köstlichkeit schnell aus ist. Also früh aufstehen und am besten kurz vor dem 12-Uhr-Läuten ankommen, wenn man nicht riskieren will, sich mit Wurstbrot zum Tegernseer Bier trösten zu müssen.
Schwarzentennalm, Schwarzentenn 2, 83708 Kreuth, Tel. 0049 8029 386