WERNECKHOF IN MÜNCHEN
Keine Lust. Keine Lust, mir jeden Gang zu notieren, abzufotografieren, nachzudenken und mitzuschreiben, statt zu genießen. Bereits beim Zukushi, der bunten Wunderwelt erlesener Fischhäppchen, mit der unser Tisch in Keramikschüsselchen eingedeckt wird, wird mir das klar. Sashimi von der Landsberger Lachsforelle, das mit Tupfern von frischgeriebenem Nagano-Wasabi und bayerischem Kren, mit winzigen Spänen von frittiertem Sauerkraut und Ponzusauce serviert wird, ein Unagi-Aalhäppchen, eine duftige Dashi-Bouillon mit Bonsai-Pilzchen: Auf dieses verführerische Essen wollte ich mich voll konzentrieren. Hic et nunc.
Deswegen stehen hier nur Impressionen, Erinnerungen der Zunge, die nicht die ausgefeilte Komplexität der Gerichte einfangen können. Wunderbar krustige Foccaccia von einer fränkischen Dorfbäckerei und dazu mit Kombu-Algen, geräucherter Miso-Paste, Bonito-Flocken verknetete Butter mit dem zarten Mandarinenaroma von Yuzu-Früchten. Schneeig weiß gebratener Madai auf geräucherter Liebstöckelvinaigrette – die goldene Brasse, die zum Kirschblütenfest gereicht wird, ist pfiffigerweise mit kurz anfrittierten Schuppen bedeckt, die wie Salzkristalle im Mund zersplittern – Textur total. Zwei barrenförmig geschnittene Scheiben Koberind von der vulkanischen Insel Kyushu, leuchtend rote Geometrie auf schwarzglänzender Keramik, fast irreal schön wie die Speisenmodelle der Kappabashi Dogugai Straße in Tokyo. Nachhaltiger Balfegó-Thun aus Spanien, der fast ausschließlich an japanische Sushi-Tempel geliefert wird, mit Kimizu-Mayonnaise und der sensorischen Explosion geeister Bergamottperlen. Rochenflügel mit Perigord-Trüffel und Koji-Pilzen – West meets East ist das Motto, das Prinzip des Münchners Tohru Nakamura, nebenbei vom Gault-Millau zum Koch des Jahres 2020 gekürt. Haute cuisine umschmeichelt edle Produkte aus der bayerischen und japanischen Heimat mit großmeisterlich reduzierten Saucen und Emulsionen, mit einem Aromenspiel heimischer Kräuter und all den Würzen Nippons. Das Ganze präsentiert mit juwelierartiger handwerklicher Finesse.
Dazwischen Überraschung, proletarisches Kontrastprogramm. Unter dem Motto Shibuya geht’s über eine dunkle Stiege in den mit roten Laternen geschmückten Weinkeller zum Streetfood-Abenteuer. Die frittierten Takoyaki-Kügelchen aus Parüren, sprich Edelfischresten sind eine Liga für sich, das dazu gereichte Kirin-Bier im Porzellanbecher hat einfach Stil. Genauso wie der süße Spaziergang zum Finale, der – wir sind schließlich im klassizistischen München – lächelnd eine philhellenische Joghurtpraline neben eine japanische Kirschkreation plaziert.
Selten habe ich kulinarischen Dialog so geistreich, so tänzelnd, so verführerisch und dabei didaktisch in die japanischen Küchengeheimnisse einführend erlebt. Zu diesem bis ins kleinste Detail getakteten Speiseerlebnis trägt eine Serviceregie bei, die die gesamte Equipe einbindet. Im Laufe des Abends tritt jede, tritt jeder einmal an unseren Tisch, nicht nur um die köstlichen Saucen anzugießen, sondern voller Wir-Gefühl kundig die Gerichte und die Fülle japanischer Begriffe zu erklären. Diese Aufmerksamkeit, diese Zuwendung, ja diese Begegnungen mit kulinarisch engagierten Menschen sind ausgesprochen angenehm, das harmonische Arbeitsklima wird spürbar.
Fazit: Die alte Streitfrage, ob Kochen Kunst sein kann, stellt sich bei Tohru Nakamura nicht. Sein Werneckhof ist schlicht und einfach ein Gesamtkunstwerk. Punto.
Werneckhof, Werneckstr. 11, 80802 München, Tel. 089/38879568, www.geisels-werneckhof.de