Man kommt als Mainstream-Tourist nicht alle Tage nach Belgrad. Mich verschlägt es in die serbische Metropole wegen der Hochzeit eines Freundes in Požarevac, das in österreichischen Geschichtsbüchern noch Passarowitz heißt. Dazu nur soviel: Das wunderbare Fest erweckte in mir wegen seiner musikalischen und kulinarischen Üppigkeit und Ausgelassenheit den ketzerischen Gedanken, daß Emir Kusturica für seine Balkanfilme nicht besonders viel Phantasie aufwenden, sondern nur den Alltag abfotografieren musste.

In Belgrad fasziniert mich, wieviel hier kulinarisch eigenständig und überraschend schmeckt. In Zemun, dem Donaufischervorort, der bis 1918 zur ungarischen Reichshälfte der k. & k. Monarchie gehörte, wird im Šaran dem Namen „Karpfen“ gehuldigt. Wann verspeist man schon Karpfenaufstrich und gebackene Störe? Wann läßt man sich am Tisch eine kapitalen Flußbarsch tranchieren? Wann hat man die Wahl zwischen Adria-Scampi in pikanter buzara-Sauce oder Karpfenfilets, die mit Backpflaumen gegart werden und so überraschend leicht munden? Dazu kredenzt das professionelle Personal Spitzentropfen aus der einst magyarischen Vojvodina wie den Furmint des Weingutes Sagmeister.

Zurück in der Downtown der „weißen Stadt.“ Dort muß jeder Tourist einmal über die Skadarska wandeln. Trotzdem ist die Vorzeigegasse der serbischen Bohème, die mit altmodischen Paris-Zitaten kokettiert, ein Treffpunkt der Einheimischen geblieben. Es soll ja zahlreiche deutsche Landsleute geben, die allergisch gegen Stehgeiger sind. Aber ich gestehe, mich stimmt es sentimental, wenn Musikgruppen mit Sängern und Instrumenten ohne Verstärker vorbei an tafelnden Tischrunden ziehen, die für ein persönlich vorgetragenes Ständchen auch einmal ein Scheinchen als Anerkennung springen lassen. Stari svet, wie die serbischen Weinkarten Europa bezeichnen, alte Welt: So muß die Atmosphäre früher auf dem Montmartre, in der Athener Plaka oder auch Grinzing gewesen sein, als noch Gesang und nicht Spotify-Gedudel aus allen Gassen tönte. Mein Favorit unter den Lokalen ist das gutbürgerliche Dva Jelena. Die „zwei Hirsche“ bieten dunkles holzvertäfeltes Interieur, Geweihe und old school-Oberservice. Süßsauer eingelegte gelbe Parika, bestrichen mit sahnig-mildem Kajmak-Frischkäse und ofenwarmem knusprigem Knoblauchbrot sind ein genialer Starter. Bohnensuppe aus dem Tontopf und natürlich cevapi (klar, das kommt von Kebap!) munden bestens zum grundsoliden Kadarka-Rotwein und faßgelagertem Zwetschgenschnaps.

Szene ohne aufdringliche Gentrifizierung. Das nostalgisch-kreative Viertel Dorcol trägt nicht nur einen türkischen Namen (dört yol = vier Wege = Kreuzung), sondern bewahrt auch in der Küche orientalische, griechische und mediterrane Einflüsse. Wie zeitgeistig das schmecken kann, beweist das minimalistisch eingerichtete Iva. New Balkanic Cuisine ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern präsentiert stylish umgesetzte Produktrecherche: Kalbsbries mit papierdünner Pasta im Tontopf geschmort, grüne Bamia-Schoten mit Sesam, Berglamm und seltene Hirtenkäse. Auch meine Belgrader Lieblingslocation knüpft ans historische Erbe an: Um die Ecke serviert die winzige Kaffeebar Eklektika, die die Buffet-Koje eines exzentrischen Art-Deco-Hauses nutzt, authentischen türkischen Kaffee aus dem Stielkännchen mit einem Würfel süßen Lokum. Wobei, die Serben haben wie ihre griechischen Glaubensbrüder den osmanischen Namen abgeschafft und bestellen lieber domaca kafa – Heimatkaffee. Die Kaffeesiederei mit Zweigstelle in Izmir (!) lächelt weise über diese sprachliche Abkapselung.

 

Šaran, Kej Oslobođenja 53, Beograd, Tel. 00381 69 2618235, www.saran.co.rs

Dva Jelena, Skadarska 32, Beograd, Tel. 00381 11 7234885, www.dvajelena.rs

Iva, Kneginje Ljubice 11, Beograd, Tel. 00381 11 3285007, www.NewBalkanCuisine.com

Eklektika 40, Kneginje Ljubice 7, Beograd