Man kann ein Model im Kostüm, mit Perlenkette und High Heels vor der Kulisse eines Schlosses mit Stilmöbeln fotografieren. Macht sich edel, aber ein sicherer Eyecatcher ist es, wenn die elegante Lady mit drastischerem Ambiente aus der Arbeitswelt konfrontiert wird – etwa mit Kohlekumpeln, die mit schwarzverschmierten Gesichtern aus einem Schacht steigen.
Ähnlich stilbrechenden Stilprinzipien huldigt auch die Avantgarde der Gastroszene. Unverkleideter Schleifbeton und Körpergraffiti, sprich Tätowierungen auf flinken Kocharmen, die emsig in der open kitchen werkeln, gehören fast schon zum bon ton, um den Kontrast zu feinen Speisen, teuren Weinen, edlen Riedel-Gläsern herauszuarbeiten. Jahrhundertelang gepflegte Riten der gehobenen Gastronomie werden als zu brav abgetan – Einkehr wird zum innenarchitektonischen Erlebnis, zum Abenteuer Essen gestylt. Vordenker war das Noma in Kopenhagen, das bei seinem Konzept eines antifranzösisch–skandinavischen Restaurants die Tischdecke als bourgeoises Relikt abschaffte. So wird im „weltbesten Restaurant“ die gemaserte Oberfläche des Speisetisches aus dänischer Eiche zum Designer-Statement, das volkstümliche Bewirtung an rohen Holztafeln zitiert. Die waschmittelsparende Idee schlug weltweit ein. Selbst das Flagschiff der Pariser haute cuisine, Alain Ducasses Gourmettempel im Plaza Athénée, verzichtet seit seiner Renovierung spektakulär auf Damast, „damit man das edle Holz besser sehen kann“.
Materialwechsel: Auch Porzellan verschwindet. Trendsetter verwenden heimisches Getöpfertes, inspiriert von der Zen-Schlichtheit asiatischer Keramik. Zur ausufernden Marotte ist allerlei Gestein geworden – sogar ein 3-Sterne-Doyen wie die Auberge de l’Ill glaubt, seine Salzbutter auf peinlichem Granitplättchen servieren zu müssen. Ohne Holzlöffel und Fingerfood, wo man mutig wie Maharajas mit der Hand zuzugreifen muß, geht gar nichts. Sogar der klassische Tisch wird hinterfragt – Endlostresen oder eine Sitzschlange aller Gäste ist populärer.
Wunderbare locations, um diese Innovationen zu studieren, bietet New York mit seinem edel-räudigen Meatpacking District oder Berlin. Ein Kultobjekt dieser Trümmerästhetik ist Tim Raues La Soupe populaire. In der gruftigen Betonhalle einer ehemaligen Brauerei mit brutalistischen Installationen und hochkarätiger Gemäldegalerie wird feinste Berliner Kost wie Senfei oder sous-vide-Eisbein zelebriert.
Chichi oder hat dieser inszenierte Stilbruch eine Botschaft? Mal ehrlich – auch bei uns zu Hause wird immer häufiger das formale Speisezimmer abgeschafft, treiben wir uns bei Partys in der Küche herum. So liegt diesem Konzept eine radikale Neudefinition von Gastlichkeit als Partnerschaft zugrunde, die die Hochküche um Zitate volkstümlicher Lebensfreude, ja bäuerlicher Authentizität bereichert. Unverzichtbar ist logischerweise die offene Küche. Sie macht früher versteckte „Domestiken“ zu Protagonisten, zu Schauspielern ihrer Fingerfertigkeit – reality cooking auf Augenhöhe mit dem Gast! Wenn dann Köche noch den Ober ersetzen, eigenhändig – wie aufregend! – ihre Speisen servieren, werden Prinzipien des Theaters in die Gastro-Regie eingespeist, wird im postmodernen Gesamtkunstwerk Restaurant subtile Natürlichkeit als neuer Luxus gefeiert.
Und doch, die gute alte Tischdecke! Wer einmal erlebt hat, wie in einer Trattoria am Strand der Cameriere eigens für Dich das blendendweiße Tuch schwungvoll über ein wackliges Tischchen breitet, festklemmt und Dich mit den Worten: È pronto Signore! einlädt, wird dieses herrlich unaufgeregte Zeremoniell nicht missen mögen.
©Peter Peter für Rotary Magazin